Der Wächter der Sprunganzüge

Ex-Bundestrainer Andreas Bauer aus Oberstdorf ist beim Internationalen Skiverband neuer Chef der Materialkommission. Vor dem Saisonstart erklärt er einschneidende Änderungen.

-Von Thomas Weiß-

Wenn am Freitagnachmittag am Lysgardsbakken im norwegischen Lillehammer die Weltcup-Saison der Skispringerinnen und Skispringer mit einem Mixed-Wettbewerb beginnt, dann wird ein Allgäuer ganz besonders gespannt vor dem Fernseher sitzen und das Handy bereitlegen, um sich im Zweifelsfall mit den Verantwortlichen des Internationalen Ski- und Snowboardverbandes (Fis) schnell auszutauschen. Im kalten Skandinavien geht es nämlich nicht nur um die ersten Weltcup-Punkte, sondern auch um die Umsetzung einiger Regeländerungen, die bei den Athletinnen und Athleten im Vorfeld für jede Menge Wirbel und Diskussionsstoff gesorgt haben. Und Andreas Bauer aus Oberstdorf, der ehemalige aktive Springer und DSV-Bundestrainer, hat kräftig mitgemischt bei den einschneidenden Maßnahmen. Seit sechs Jahren vertritt Bauer den Deutschen Skiverband in verschiedenen Fis-Gremien, im Sommer hat er den Vorsitz in der Material- und Entwicklungskommission übernommen.

In seiner ersten Sitzung als Chairman bei der Fis-Herbsttagung in Zürich müssen den 60-jährigen Bauer Gefühle beschlichen haben wie damals bei seinem ersten Sprung von der großen Schattenbergschanze. Mulmig – und ohne Gewissheit, wo er zum Landen kommt. „Es stand schon viel auf dem Spiel. Wir mussten entscheiden, wo wir strategisch hinwollen.“ Die Materialschlacht beim Skispringen habe sich in einer Spirale immer weiter nach oben geschraubt, es sei getrickst und getäuscht worden – Disqualifikationen, so sagt Bauer, hätten einige Nationen nicht nur in Kauf genommen, sondern im Vorfeld mit eingepreist. Die Kontrollen waren nicht ausreichend, etliche Top-Leute seien im zweiten Durchgang mit einem weiteren und damit luftdurchlässigeren Anzug gesprungen. Bauer wörtlich: „Dieses Schlupfloch haben manche gnadenlos ausgenutzt.“

Um sich einen Vorteil zu verschaffen, hätten sich manche Topspringer pro Saison 40 Sprungan-züge zugelegt – „zum Teil selbst finanziert“, weiß Bauer. Diesem Wettrüsten habe seine Kommission nun einen Riegel vorgeschoben. Trotz „viel Getöse im Vorfeld“ hat Bauer als Vorsitzender bei dieser umstrittenen und wegweisenden Entscheidung eine 14:0-Abstimmung hinbekommen. Künftig darf jeder Athlet maximal zehn Anzüge pro Winter nutzen, die alle im Vorfeld kontrolliert und an sieben festgelegten Stellen mit Mikrochips versehen werden. An Wettkampf-Wochenenden müssen sich die Sportler auf zwei Anzüge festlegen, pro Wettkampf ist nur ein Anzug erlaubt. Kontrolliert wird dennoch vor jedem Springen. Ein Scanner liest die Mikrochips aus, Arm- und Beinlänge werden gecheckt, Luftpolster zwischen Körper und Anzug damit möglichst vermieden.

Bauer ist vor der Premiere zufrieden: „Wir haben als Fis wieder das Heft des Handels in der Hand, bringen wieder mehr Fairness rein und helfen mit, nachhaltiger zu sein.“ Weniger Stoff, weniger Kosten. Dadurch hätten auch kleinere Nationen wieder die Chance, Wettbewerbsnachteile auszugleichen.

Bauer kann übrigens sicher sein, dass die Öffentlichkeit, aber auch die Athletinnen und Athleten über eine Regeländerung aus dem Sprungrichter-Komitee viel emotionaler diskutieren werden. Für eine unsaubere Landung gibt es künftig deutlich mehr Punktabzüge. Auch der Oberstdorfer Karl Geiger schimpfte: „Wir sind hier nicht im Eiskunstlauf oder beim Dressurreiten. Der weiteste und beste Sprung muss gewinnen!“

Post Author: Dieter Haug