Vor ihrer Abreise nach Peking erleben Skispringerinnen und Skispringer nicht nur Bauchlandungen und Rückschläge, sondern holen sich auch jede Menge Selbstvertrauen.
Von Thomas Weiß, Fotos Arne Dedert,
Das Wochenende in Willingen stand für die Allgäuer Skispringerinnen und Skispringer ganz unter dem Motto „Mixed emotions“. Gemischte Gefühle, so kurz vor dem Start der Olympischen Winterspiele, gehören aber so gar nicht auf die Wunschliste von Athleten, die sich in wenigen Tagen bei Olympia den Traum von einer Medaille erfüllen möchten. Immerhin, egal ob ein 20. Platz (wie bei Karl Geiger), ein übler Sturz (wie bei Selina Freitag) oder das zweimalige Verpassen des Siegerpodestes trotz zweier Top-Leistungen (wie bei Katharina Althaus), die Allgäu-Fraktion im DSV-Skisprungteam stieg am Montagabend in Frankfurt – zumindest was ihre sportlichen Aussichten angeht – zuversichtlich in den Flieger. Ein Bauchgrummeln freilich fliegt auch mit, schließlich hat der positive PCR-Test der Weltcup-Führenden Marita Kramer aus Österreich gezeigt, dass es mit den Olympia-Träumen auch von einem Moment auf den nächsten vorbei sein kann.
Solche Gedanken sind auch Selina Freitag am Samstag durch den Kopf geschossen. Die 20-Jährige von der SG Nickelhütte Aue, die in Oberstdorf wohnt, kam in Willingen bei der Landung übel zu Sturz, weil die Ski überkreuzten, prallte mit Kopf und Oberkörper mehrfach auf den harten Aufsprunghügel und blieb minutenlang benommen im Auslauf der Mühlenkopfschanze liegen. „Mir tut die ganze rechte Seite weh und das Gesicht ist ziemlich zerkratzt, aber ansonsten bin ich heile und dankbar an alle Engel, die mich da vor einer schwereren Verletzung beschützt haben“, sagte Freitag. Auf einen Einsatz am Sonntag verzichtete die jüngere Schwester von Richard Freitag – wohl auch, um ihre Olympia-Teilnahme in Peking nicht ein weiteres Mal zu gefährden.
Die Österreicherin Eva Pinkelnig sprach von irregulären Bedingungen: „Nach dem Sturz von Selina hätte ich für mich sagen sollen, ich lasse es.“ Pinkelnig landete, mental blockiert, bei 70 Metern und verzichtete wegen des positiven Tests von Kramer wie das gesamte ÖSV-Team am Sonntag auf einen Start. Besser mit dem Sturz der Teamkollegin konnte Katharina Althaus angehen. Die 25-Jährige vom SC Oberstdorf hatte in Willingen eine besondere Beziehung zur Zahl 2. Als Zweite des Gesamtweltcups belegte sie – jeweils ohne zweiten Durchgang – zweimal Rang zwei (einmal hinter Kramer, einmal hinter Nika Kriznar/Slowenien) und könnte vermutlich gut damit leben, wenn sie den zweiten Platz von Pyeongchang im Einzel auch in Peking wiederholen könnte. „Ich bin ganz gut drauf, freu mich, dass es heuer viel, viel besser klappt als im letzten Winter und fühl mich jetzt richtig gut vor Olympia.“ Althaus, die sich aus Angst vor einer Infektion vor dem Abflug abgeschottet hat von Familie und Freund, sagt: „Das Ziel ist, auch bei Olympia um einen der Podestplätze mitzukämpfen.“
Auch der neue Bundestrainer Maximilian Mechler aus Isny gibt sich optimistisch vor dem Kurztrip nach China. Einzel und Mixed finden am Wochenende innerhalb von 48 Stunden statt, danach fliegt das Frauen-Team sofort zurück. „Die Normalschanze in Peking soll ja sehr ähnlich sein wie unsere Trainingsschanze in Oberstdorf“, sagt Mechler. Da das olympische Flair wegen der Corona-Regeln eh schon leide, hätte sich Mechler bei seiner Olympia-Premier gewünscht, wenigstens noch das eine oder andere Event besuchen zu können. „Aber daraus wird wohl nichts.“
Nicht sonderlich viel Neues hörte man vom deutschen Vorzeigespringer Karl Geiger vor dem Abflug. Nur, dass er sich auch schwer damit tat, Frau und Tochter vor seiner Abreise nur noch per Video zu kontaktieren bzw. vor Willingen nur mit großem Abstand zu sehen. „Wir haben getrennt geschlafen“, sagte Geiger. Immerhin läuft’s sportlich: Seinen 19. Platz von Samstag bügelte der 28-jährige Oberstdorfer tags darauf mit Rang zwei schnell glatt und entriss Ryoyu Kobayashi wieder das Gelbe Trikot des Gesamtführenden. Das sollte Aufwind für die Winterspiele geben …
