Jedes Rennen eine Weltmeisterschaft

Glaubt man den Statistiken, gibt es in Deutschland mehr als 7,4 Millionen Ski-, 2.3 Millionen Langläufer und knapp 2 Millionen Snowboarder (DSV Statistik vom Dezember 2020). Während die Zahl der Skifahrer stagniert, erleben wir bei den Snowboardern einen dramatischen Einbruch.

Snowboarden galt einige Jahre als der coole, hippe und moderne Wintersport, der den klassischen Ski als altbacken und der Elterngeneration zugehörig degradierte. Snowboarder wie Shaun White oder Kevin Pearce wurden wie Popstars von Teenies weltweit gefeiert und kassierten mit Werbedeals und Merchandise Ruhm, Ehre – und viel Geld.

Doch diese goldenen Zeiten scheinen vorbei. Das Snowboard hat seinen Schwung verloren. Sportgeschäfte klagen über sinkende Verkaufszahlen von Snowboards. Boardshops schließen, Snowboardmarken ziehen sich zurück oder diversifizieren ihr Angebot. In der Halfpipe springen mehr und mehr Skifahrer. Hat der einstige Rebellensport seine Coolness verloren? Während in Japan bei den Wintersportlern der Anteil der Boarder immer noch die Hälfte beträgt, sind es in Deutschland gerade mal 15 Prozent.

Zwei, die sich komplett dem Snowboardsport verschrieben haben sind Jana Fischer und Paul Berg. Beide fahren für den Snowboardverband Deutschland (SVD) in der Nationalmannschaft. Im Snowboard-Wettkampfsport existieren drei Disziplinen nebeneinander: Race, Freestyle und Snowboardcross (SBX). Die wohl populärste Vertreterin in der Disziplin Race ist die Sonthoferin Selina Jörg (32) zusammen mit Ramona Hofmeister (24, WSV Bischofswiesen), bei den Freestylern/Halfpipe springt der Kemptener Andrè Höflich (23) am spektakulärsten und bei den Snowboardcrossern sind die Wahlallgäuer Paul Berg (29, SC Konstanz, Bodensee), Martin Nörl (27, DJK-SV Adlkofen, Niederbayern) und Jana Fischer (21, SC Löffingen, Schwarzwald) Aushängeschilder.

Der Grund, dass sie sich alle im Allgäu niedergelassen haben, liegt an der Struktur der im SVD angesiedelten Disziplinen.

Race und Freestyle haben ihren Stützpunkt in Berchtesgaden, SBX in Oberstdorf. Die Kombination Schule, Skiinternat und Bundesstützpunkt ermöglicht eine geregelte Schulausbildung sowie effektives Training. Derzeit besuchen 13 Snowboardcrosser das Skiinternat und das Gertrud-von-le-Fort-Gymnasium in Oberstdorf. Auch Berg und Fischer haben diese Stationen durchlaufen. Heute, nach der Schulzeit, dienen sie als Sportsoldaten in der Bundeswehr, um ihren Beruf Snowboardfahrer ausüben zu können. „Ich habe mich in das Allgäu verliebt“, sagt Paul Berg, der mit der ehemaligen Bob-Pilotin Lisette Thöne verheiratet ist und in Sonthofen lebt. „Dass ich zum Snowboardfahren kam, war Zufall“, erzählt er. „Mein Snowboardlehrer fragte mich, ob ich denn nicht Lust hätte, einmal ein Rennen zu fahren. Und so bin ich hängen geblieben.“ Bei Jana war es der größere Bruder, der damals Snowboard fuhr. „Der war mein Vorbild und darum wollte ich das auch.“

„Gerade am Anfang ist es einfacher, in ein Kader zu kommen, da es nicht so viele gute Snowboarder gibt. Aber ab Europacup- oder Weltcupebene wird die Luft schon dünn, besonders im internationalen Vergleich. Führend sind hier die Italiener, Franzosen und Österreicher, die alle viele Nachwuchstalente haben. Bei uns gestaltet sich die Nachwuchsgenerierung etwas schwieriger, da wir, anders als bei den Skifahrern, keine vereinsspezifischen Strukturen haben. Deshalb ist viel Eigeninitiative notwendig.“

Dennoch müssen sich die deutschen Sportlerinnen und Sportler nicht verstecken. Für Paul stehen zwei Weltcupsiege sowie Siege im Teamwettbewerb mit Konstantin Schad, zwei erfolgreiche Olympiateilnahmen (Sotchi 2014 und Pyeonchang 2018) und mehrere Top-Ten Platzierungen im Gesamtweltcup. Auch Jana kann schon einige Erfolge aufweisen. Bei den Olympischen Jugendspielen 2016 in Lillehammer gewann sie im Teamwettbewerb Ski/Snowboardcross die Goldmedaille. In Pyeonchang war sie im deutschen Aufgebot. Auf der JWM 2019 stand sie im Einzel ebenfalls ganz oben auf dem Podest.

Und dennoch ist die Situation alles andere als rosig. Für diesen Winter waren acht Weltcups, drei Teamwettbewerbe sowie die Weltmeisterschaft Mitte Februar in Zhangjiakou/China angesetzt. Übrig geblieben sind vier Events, alle anderen, auch die WM, wurden abgesagt. „Es ist natürlich schwierig ist, die Motivation bei nur vier Rennen im Winter aufrechtzuhalten. Da aber bei diesen wenigen Veranstaltungen die gesamte Weltelite am Start sein wird, zählt jedes Rennen wie eine Weltmeisterschaft“, betont Paul. „Ein Snowboardcross-Parcours ist sehr aufwendig und daher sehr teuer. Anders als beim SkiCross gibt es keinen Tour-Sponsor, der monetäre Hilfestellung leistet. Und einfach in einen SkiCross-Parcours zu wechseln, geht nicht. Hierfür sind einige Umbauten notwendig, da zum Beispiel Negativkurven mit dem Ski schon, aber mit dem Board nicht gefahren werden können.“ Deshalb ist es auch aufgrund von fehlenden Möglichkeiten kaum möglich komplette Kurse zu trainieren. Gefahren werden immer nur Einzelelemente, wie etwa Sprünge im Park, die Startsequenz und Riesenslalomschwünge. Nur wenn Olympische Spiele oder Weltmeisterschaften anstehen und damit auch Medienpräsenz gewährleistet ist sowie die damit verbundenen Gelder fließen, werden spektakuläre Parcours gebaut, denn die Zuschauerresonanz zeigt, dass Snowboardcross beliebt ist und ankommt.

Sportpsychologen begleiten Training und Wettkampf der meisten Snowboarder. „Anders als beim alpinen Rennlauf“, so Berg, „ muss ein Snowboardcrosser mehrere Szenarien während eines Wettkampfs durchspielen und umsetzen können. Jeder geht mit einem Plan X in seinen Heat. Doch die körperliche Attacke eines Mitkonkurrenten kann diesen sehr schnell platzen lassen. Und diese geistige Mobilität, anders taktieren zu müssen, unterscheidet uns vom „Normalskifahrer“. Und nach einem Fehler aufzugeben, geht auch nicht, da die anderen Heat-Teilnehmer auch patzen können und damit der Rennverlauf sich komplett ändern kann.“

Und so gilt es am Ball zu bleiben, wenn Mitte Januar der erste Wettkampf im Montafon/Österreich über die Bühne geht. Denn bei drei oder vier Wettkämpfen im Winter gleicht jeder einzelne einer eigenen kleinen Weltmeisterschaft.

 

 

Post Author: Dieter Haug